Heinrich Loose ̶ Edmund Märklin ̶ Ludwig Pfau ̶ Johannes Scherr und die südwestdeutsche Revolution 1849
Mit Textedition und Dokumenten
Rezensent(in): Ziegler Hannes
Erscheinungsjahr: 2022
Autor(en): Sprengel Peter
Erscheinungsort: Bielefeld
Der deutsche Literatur- und Theaterwissenschaftler Peter Sprengel, bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2016 ordentlicher Professor an der Freien Universität Berlin, ist durch eine Vielzahl von Studien zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts hervorgetreten. Seine jüngste Publikation widmet sich einer der „deftigsten satirischen Produktionen“, welche die deutschsprachige Literatur als Reaktion auf die gescheiterten südwestdeutschen Revolutionen vom Frühsommer 1849 hervorgebracht hat: „Die wandernde Barrikade, oder: die württembergische, pfälzische und badische Revolution. Wohl geleimt und wohl gereimt in drei Aufzügen, mit der ganzen türkischen Musik. Von einem Schock ungehenkter Hochverräther“. Erschienen ist diese polemische, 120 Seiten starke, mundartlich gefärbte Versdichtung noch 1849 in Bern.
Sprengels Arbeit ist in vier Abschnitte untergliedert: Im ersten Abschnitt begibt sich der Autor auf die Suche nach dem Verfasser bzw. den Verfassern der „Wandernden Barrikade“. Der zweite Abschnitt enthält Dokumente (Erklärungen, Briefe, Artikel) von Heinrich Loose sowie Moritaten und Briefe seiner Mitstreiter, Edmund Märklin und Ludwig Pfau, dem Herausgeber des „Eulenspiegel“, einer demokratisch ausgerichteten Satirezeitschrift, die zwischen Januar 1848 und Juni 1853 in Stuttgart erschien. Eine kommentierte Edition der „Wandernde[n] Barrikade“ findet sich im dritten Abschnitt, dem ein Anhang folgt, bestehend aus dem Abbildungs- und Literaturverzeichnis sowie dem Personenregister.
Die Frage, wer hinter dem „Schock ungehenkter Hochverräther“ steckt, ist angesichts der „schüttere[n]Ausgangslage“ nur schwer zu beantworten. Denn abgesehen von einem Aufsatz des späteren Theologieprofessors Rainer Kessler in der „Pfälzer Heimat“ (35, 1984) hat sich lediglich der Schriftsteller Hellmut G. Haasis in einem Feature des Südwestfunks (April 1984) und in dem von Manfred Asendorf und Rolf von Bockel herausgegebenen Sammelband „Demokratische Wege“ (Stuttgart 1997) intensiver mit Looses Leben und Wirken beschäftigt. Während Haasis von einem Autorenkollektiv als Verfasser ausgeht, relativiert Sprengel diese Zuordnung nach einer textkritischen und biographischen Spurensuche insofern, als er den Anteil der anderen „Hochverräther“ (Märklin, Pfau, Scherr) wesentlich geringer einstuft und den „verhinderten Pfarrer“ Heinrich Loose als Hauptautor und Endredakteur der „Wandernde[n] Barrikade“ ausmacht. Vor allem drei Faktoren bestimmen Sprengels Urteil: Looses exponierte Position als Handlungsträger, seine politische Einstellung, die sich mit der des epischen Icherzählers in der „Barrikade“ deckt, und die teilweise wörtlichen Übereinstimmungen zwischen der „Barrikade“ und Looses Monographie „Der deutsche Reichsverfassungskampf“ aus dem Jahre 1852.
Looses Biographie, die Sprengel im ersten Abschnitt nachzeichnet, ist geprägt von tiefen Einschnitten: Am 16. Mai 1812 in Stuttgart als Sohn eines Hofschlossers geboren, studiert Loose nach seinem Gymnasialabschluss in Tübingen Theologie. Früh schon leidet er unter psychischen und körperlichen Beschwerden. Loose fällt disziplinarisch und politisch auf. Er publiziert und übernimmt 1845 das in Eßlingen erscheinende „Schwäbische Museum“, ein „Volksblatt“, das er im folgenden Jahr unter dem Titel „Die neue Zeit“ fortführt. Die Hoffnungen Looses auf eine Pfarrstelle scheitern an der Württembergischen Landeskirche, seinem frühen Engagement als Mitglied einer revolutionären Burschenschaft und seinen immer wieder auftretenden psychischen Problemen.
Mitte der 1840er Jahre tritt eine Zäsur ein in Looses religiösem und politischem Leben: Seine nationalromantischen und nationalreformatorischen Ideen finden in dem Deutschkatholizismus des suspendierten schlesischen Priesters Johannes Ronge eine neue Heimat. Während eines Gottesdienstes in Stuttgart am 13. Juli 1845 wendet sich Loose demonstrativ dieser religiös-politischen Bewegung zu, um die „politische Wiedergeburt“ Deutschlands aus dem „religiösen Volksgeist“ einzuleiten. Seine Handlung, so betont er, sei aber nicht als „Austritt oder Uebertritt“, sondern als „Beitritt“ zu verstehen, „besser Fortschritt zu der meiner Ueberzeugung nach rechten Erscheinungsform des evangelischen Protestantismus“. Auch politisch positioniert sich Loose schärfer: Soziale Fragen rücken in den Vordergrund; deutlich kommen seine Sympathien für den Sozialismus zum Vorschein.
Nach etlichen Missionsreisen begibt sich Loose nach Schlesien, dem Kernland der deutschkatholischen Bewegung. Er wirkt in Breslau und findet nach Ostern 1847 in dem Weberstädtchen Reichenbach eine Anstellung als Prediger. Nach einer vergeblichen Kandidatur für die Frankfurter Nationalversammlung kehrt Loose schon ein Jahr später in seine schwäbische Heimat zurück, wo er sich wieder publizistisch betätigt, vornehmlich als Verkünder des neuen „Propheten Johannes“ (Ronge). Schließlich wird Loose im Oktober 1848 auf Fürsprache des Uhrmachers Joseph Valentin Weber als deutschkatholischer Prediger nach Neustadt an der Haardt berufen. In diesem frühen Zentrum der pfälzischen Arbeiterbewegung gründet er eine „freie Schule“, regt weitere Schulgründungen an und befreundet sich mit Weber, der fortan als sein engster politischer Mitstreiter auftritt.
Sprengel verweist auf den bedeutenden Einfluss von Loose auf die revolutionäre Bewegung in der Pfalz und seinen Anteil an dem Erstarken der deutschkatholischen Vereine. Er schildert vor dem Hintergrund der marschierenden Gegenrevolution die zunehmende Radikalisierung Looses, sein Engagement im Demokratischen Verein Neustadts, im Vorstand des (neu gegründeten) Neustadter Volksvereins und in dem von Weber gegründeten und geleiteten Arbeiterverein.
Zur Jahreswende 1848/49 vollzog sich in der Pfalz eine deutliche Verschiebung der politischen Kräfte. Neben den dominierenden Liberalen, die mehrheitlich einer konstitutionellen Monarchie zuneigten und auf dem legalen Weg zum Ziel dorthin blieben, erstarkten jetzt jene Kräfte, die eine „zweite Revolution“ forderten und für eine Republik eintraten, mit deutlich sozialem Zuschnitt. Gleichwohl kämpften beide Richtungen zunächst weiter für die Reichsverfassung, in den Parlamenten und mit außerparlamentarischen Aktionen, Adress-Kampagnen und Volksversammlungen.
Nach der Ablehnung der Reichsverfassung durch den bayerischen und den preußischen König Ende April 1849 stand die pfälzische Opposition am Scheideweg. Das vom Frankfurter Parlament Ende März 1849 verabschiedete Dokument schrieb eine konstitutionelle Monarchie in einer kleindeutschen Nation vor. Die Herzen aller politisch aktiven Pfälzer schlugen aber großdeutsch. Doch während die Liberalen bis zum bitteren Ende der Kraft der Parlamente vertrauten, entschied sich Anfang Mai 1849 eine Minderheit in Kaiserslautern für den revolutionären Weg: Mitte Mai wurde eine Provisorische Regierung installiert, eine Woche später der Bruch mit Bayern vollzogen.
Loose gehörte zu jenen radikaleren Kräften, die für eine soziale Pfälzer Republik kämpften, gleichsam als Ferment für eine weiter greifende Revolution in Deutschland. Diese kühne Vision entwarf er in seinem „Kreuzerblatt“, dem „Pfälzer Volksmann“, das sich als revolutionäres „Überwachungsorgan“ verstand und links von der Provisorischen Regierung positionierte. Das Ende ist bekannt: Eine konzertierte Militäraktion preußischer und bundesstaatlicher Truppen unterdrückte die pfälzische und badische Revolution im Juni/Juli 1849.
Wie viele Revolutionsaktivisten rettet sich auch Loose in die Schweiz, wo bereits im September 1849 die „Wandernde Barrikade“ erschien, ein beredtes Zeugnis seines politischen Radikalismus: Im ersten Aufzug spottet Loose über die sieben „Schwabenstreiche“ der württembergischen Revolution. Der zweite Aufzug widmet sich der pfälzischen Revolution, die in ihrer Lauheit letztlich doch nur „mehr Schwabenstreiche machte“. Looses Sympathien gelten den radikalen Kräften, seine Verachtung „den Spießgesichtern“ und „Herren Bourgeois“, im Parlament, im Landesverteidigungsausschuss („Hatte nicht gewußt, wo’s ‚naus muß“) und in der Provisorischen Regierung, schreckten diese doch „Voller Angstschweiß“ vor einer „Rebellion“ zurück, weil sie nur den „schrecklichen Kommunismus“ brächte. Mit Häme werden „die link’sten Frankfurter“ übergossen, die nur „hin und her“ schwankten. Scharf geschossen wird gegen den „Feind“ aus Preußen und die Oberbefehlshaber der pfälzischen Volkswehr, Fenner von Fenneberg („einen Feldherren Sah man nicht in Herren Fennern“) und Franz Snayde („Die Berufung des Snaide – Wurd‘ ein Trauerspiel, - o weh!-“). Auffallend oft werden die „Wühler“ Loose und Weber zitiert und als die wahren Revolutionsjünger gepriesen. Dieses Lob erhalten nur noch wenige: Militärführer, wie Franz Sigel und Gustav Struve zum Beispiel, oder Ludwig Blenker und Fritz Anneke, vor allen aber August Willich, den Loose geradezu enthusiastisch preist: „o Willich, kühnes Menschenherz – Ihr Männer von Besancon, die muthvoll sich den Tapfersten gesellten“. Noch in seinem „deutschen Reichsverfassungskampf“ schwärmt er Jahre später von Willich, seinem „weißen Freischärlerhute, großen rothen Bart und langen braunröthlichen Haaren mit blitzenden blauen Augen“.
Im März 1850 stellt sich Loose in Friedrichshafen den württembergischen Behörden. Er kommt auf der Feste Hohenasperg in lange Untersuchungshaft und wird im August 1851 von dem Schwurgericht Ludwigsburg zu einer achtmonatigen Festungshaft verurteilt. Bereits Ende Juni 1850 hatte das Appellationsgericht Zweibrücken über Loose die Todesstrafe verhängt. Unter der Bedingung, sofort das Land zu verlassen, wird Loose die Festungshaft erlassen.
Erst Mitte April 1852 reist er mit seiner Frau und den beiden Kindern in die Staaten aus, wo er seine freireligiös-sozialreformerischen Aktivitäten sofort wieder aufnimmt. In Williamsburg (Virginia) gründet er noch im gleichen Jahr den „Verein der freien Menschen“. Ein Jahr später wird er zum Sprecher der „freien Vereinigung“ in Milwaukee (Wisconsin) berufen und übernimmt die Herausgabe der Zeitschrift „Der Humanist: Ein Organ für die Freien Gemeinden und Freien Schulen, die Pflegerinnen der Humanität“. 1854 gründet Loose mit Willich, der über die Schweiz und England im Februar 1853 in die Staaten geflüchtet war, den „Sozialistischen Turnverein“ der Stadt, der bald zum deutschen Zentrum in Milwaukee avanciert. Ab 1855 gibt er die sozialistische Zeitung „Der Arbeiter“ heraus. Doch dann verschärfen sich seine psychischen Probleme. In einem verzweifelten, recht verwirrten Brief an König Wilhelm I. von Württemberg bittet Loose Mitte Oktober 1855 „ganz ergebenst“ um Gnade und die Erlaubnis, in seine Heimat zurückkehren zu dürfen. Eine Antwort erhält er nicht. Nach mehreren Nervenzusammenbrüchen lässt sich Loose in das Armen- und Irrenhaus Flatbush (New York) einweisen, wo er am 15. August 1862 stirbt.
Sprengels Publikation liefert einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der pfälzischen und badischen Revolution von 1849: Sie erhellt mit ihrer auf Archivfunde gestützten Diskussion die Autorenschaft der „Wandernde[n]Barrikade“ und liefert wesentliche Einblicke in das Leben und politische wie schriftstellerische Wirken von Heinrich Loose. Damit fasst sie die Anhänger der linken Opposition zur Provisorischen Regierung der Pfalz schärfer ins Blickfeld, was für eine Gesamtschau dieser Phase der pfälzischen Revolutionsgeschichte von großem Nutzen ist.
Hannes Ziegler, Rez. von Peter Sprengel, Wer schrieb „Die wandernde Barrikade“? Heinrich Loose ̶ Edmund Märklin ̶ Ludwig Pfau ̶ Johannes Scherr und die südwestdeutsche Revolution 1849. Mit Textedition und Dokumenten (Vormärz-Studien XLV), Bielefeld 2022, URL: https://www.hist-verein-pfalz.de/de/rezensionen/7/wid,989/rezensionen.html
Erschienen in: Pfälzer Heimat 74,1 (2023)