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Die Revolution von 1848/49 in der Pfalz

Kampf um Grundrechte und Reichsverfassung
(=Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung Reihe B: Abhandlungen zur Geschichte der Pfalz Bd. 21)
2020
Rezensent(in): Klappstuhl Willibald

Erscheinungsjahr: 2020
Autor(en): Meyer Markus
Erscheinungsort: Neustadt an der Weinstraße

Mit dem Zusatz „als Bedrohung bayerisch-monarchischer Souveränität“ wurde die vorliegende Arbeit im Sommersemester 2017 von der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) als (Inaugural-)Dissertation angenommen.
 
Der Zusatz  konturiert das Spannungsfeld Pfalz-Bayern sichtbarer und deutlicher. Die eigentliche Revolution dauert nur kurz: Sie beginnt mit der Wahl einer Revolutionsregierung, der „Provisorischen Regierung“, in der Fruchthalle Kaiserslautern am 17. Mai 1849 und endet mit dem 15. Juni 1849 (präzises Ende floatet!). Am Tag zuvor wird kampflos Kaiserslautern eingenommen -  in Kirchheimbolanden (14. Juni) und Rinntal (bei Annweiler 17. Juni) kommt es zu Kampfhandlungen. Die „Provisorische Regierung“ rettet sich nach Neustadt, dem „Zentrum der pfälzischen Verwirrung“. Der Rückzug erfolgt über die Knielinger Rheinbrücke (18. Juni).  Ausgerechnet die Preußen (einer der Militärführer ist Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser), haben die Revolution niedergeschlagen, bevor die Bayern eintreffen! Zunächst hat der Leser den Eindruck, die bayerische Souveränität werde weniger durch die Pfälzer als durch die Preußen bedroht, der „wahren Großmacht“ im Reich, der es später gelingt, auch Österreich zu besiegen (Königgrätz 1866)! Die kurze Zeit der Revolutionäre wird heute als „Revolutiönchen“´, als „Mini-Revolution“ als „Erhebung“, als „pfälzischer Aufstand“ gewertet mit ihren Mitgliedern, den Juristen Joseph Martin Reichard (Präsident und Kriegsminister), Peter Fries (Justizminister), Dr. Ludwig Greiner (Außenminister) [auch als Theodor Greiner bekannt], Nikolaus Schmitt (Innenminister) und dem Neustadter Mediziner und Flechtenforscher Dr. Philipp Hepp (Finanzminister; Gedenktafel an seinem Wohnhaus, heute Deutsche Bank, Friedrichstraße 30 in Neustadt). Letztlich kann diese provisorische Regierung in Kaiserslautern neben der Kreisregierung in Speyer mit dem einzigen Pfälzer aller Regierungspräsidenten Franz Alwens (1846-1849) an der Spitze nicht wirklich Fuß fassen. Das vorliegende Werk weist über diese „Episode“ hinaus, das sie als „Pfälzischen Aufstand“ bezeichnet.
 
Unter der „Pfälzischen Revolution 1848/49“ versteht Verfasser die gesamte Einheits- und Freiheitsbewegung des Vormärz bis hin zu den Folgen der gescheiterten Paulskirchenversammlung. Sie hat am 21. Dezember 1848 das „Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“ und am 27. März 1849 den Text einer Reichsverfassung verabschiedet, der Preußenkönig die ihm angebotene Krone als „Kaiser der Deutschen“ abgelehnt – er will sie nicht von Revolutionären annehmen. Nachdem auch Bayern mit König Ludwig I. (1825-1849) belastet durch die Affäre mit Lola Montez und dem „Kniebeugungserlass“ (durch Minister Abel: Zensur bei Kritik an der katholischen Kirche und Verbot des Beitritts zum Gustav-Adolf-Verein. Bayerisches Bonmot: „Ehedem hat Kain den Abel umgebracht; jetzt aber bringt der Abel kein(en) um.“) zurückgetreten ist, lehnt auch Bayern mit dem neuen König Maximilian II. (20. März 1848-1864) die Reichsverfassung am 23. April 1849 ab und löst damit die Auflehnung der Pfälzer aus, die durch ihre Innehabung der französischen Institutionen schon weiter auf dem Weg zur Republik vorangeschritten sind.
 
Der Weg zu verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten ist noch weit. Selbst die Reichsverfassung von 1871 kennt keine Grundrechte und erst die Weimarer Reichsverfassung 1919 schreibt den Grundrechtskatalog fest, auf dem das Bonner Grundgesetz 1949 aufbaut.
 
Der große Wert der Meyerschen Arbeit liegt in dem breitgefächerten feinen Nachgehen und Herausarbeiten der vielfältigen geistigen Strömungen und Auffassungen dieser Zeit:
Meyer gliedert sein Opus nach der Einleitung und Beschreibung der Quellenlage (I. und II.) in die Aufbereitung des Forschungsstandes (III.), das pfälzisch-bayerische Verhältnis (IV.), die Reichsverfassungskampagne (V.) in der Pfalz, die juristische Aufbereitung im Jahre 1851 (VI.) durch das Appellationsgericht Zweibrücken, und rundet die Untersuchung ab mit einer „Diskursanalyse (VII.) und einem Fazit (VIII.). Ein (entbehrlicher) Anhang (IX.): Kopie des Vertrages Generalstaatsprokurator Korbach und Buchdrucker Ritter über die Publikation der Gerichtsakten, ein spärliches Abkürzungsverzeichnis (X.), ein Quellen- und Literaturverzeichnis (XI.) beschließen die Studie, die mit einem Namens- und Ortsregister (XII.) für den Leser brauchbar aufbereitet  wird.
 
Das Aufhellen und Ergründeln der Hintergründe des politischen Geschehens des Vormärz (letztlich) bis hin zur Amnestie (1865) mit vielfältigen Ideen und Vorstellungen macht Meyers Arbeit farbig, tiefgründig und lebhaft. Verf. behandelt den pfälzischen Liberalismus, die wechselnde Auffassung der Krone: am 9. Februar 1849 setzt der Landtag den Grundrechtskatalog in Kraft. Der König erkennt den Beschluss nicht an. 3. April: Ablehnung der gesamten Reichsverfassung durch den König. - Die Pfälzer Märzforderungen werden durch eine Volksversammlung in Neustadt am 4. März 1848 formuliert. Es folgen die königliche Proklamation vom 6. März 1848, die ergänzenden Pfälzer Forderungen vom 12. März desselben Jahres. Das Reformversprechen der Krone, die französischen in der Pfalz geltenden „Institutionen“, die religiöse Prägung: Kalvinismus und sein Einfluss auf den Kommunalismus in der Pfalz, die Parteienlandschaft (Landtag, Landrat, Gemeinden), die kulturellen Konfliktfelder in Kirche, Schule und Presse, das politische Vereinswesen (die Märzvereine), die teils miserable wirtschaftliche Situation der Pfalz bergen Sprengstoff.  Insbesondere das Kapitel der „pfälzischen Reichsverfassungskampagne“ hellt die bayerische und pfälzische Haltung (Verheißung und Ablehnung der Reichsverfassung) und Auffassung und damit den Weg zur „Provisorischen Regierung“ auf, deren Finanzen und geringe militärische Schlagkraft offenbar werden. Zu den Steinchen auf dem Weg zählen die Haltung der Beamtenschaft, die Justizbeamten fühlen sich im Stich gelassen (so beschreibt es Eduard von Bomhard, damaliger Landauer Staatsprokurator aus Bayreuth). Auch neuere Auffassungen wie die von Kurt Baumann und die Sicht der DDR-Historiker und die sozialistische (Friedrich Engels: „weinfrohe Pfälzer“) werden einbezogen. Molitor wird mit einer Untersuchung gegen den Regierungspräsidenten betraut! Insoweit schreckt Verf. „vor nichts zurück!“
 
Gewünscht hätte sich der Leser ein Eingehen auf das französische Prozessrecht, das bereits ein Rechtsmittel gegen die Anklageschrift zulässt, von dem auch Gebrauch gemacht wird. Der Staatsanwalt Ludwig Schmitt bringt mit dem „Requisitorium“ nicht nur eine Anklageschrift im modernen Sinne, er verfasst geradezu einen historischen Leitfaden über alle Tatsachen und Geschehnisse. Das Gericht in München stellt die Anklage komplett auf den Kopf und ordnet den „Stoff“ neu. Im Ergebnis werden Martin Reichard und 332 „Consorten“ angeklagt, einige in Abwesenheit zum Tode verurteilt, keiner hingerichtet. Ein tröstliches Ergebnis (am Rande bemerkt: Insgesamt muss nur ein Überläufer in Landau sein Leben lassen). Verfasser bezieht auch den „Steinfelder Zug“ (abgeurteilt durch das Spezialgericht) in seine Untersuchung vor dem Appellationsgericht Zweibrücken mit ein.
 
Eine gelungene neue geist- und detailreiche Sicht der „Pfälzischen Revolution“ 1848/49!
Bei allen tiefgehenden Ausführungen bleibt die „Die Diskursanalyse“ (S. 287 ff.) – eine Leerformel, die wohl der Zweitgutachter gerne gebraucht: Markus Raasch hat an der Universität Eichstätt/Ingolstadt Seminare gehalten -, indes fördert die „Diskursanalyse“ keinerlei neuen Erkenntnisse mehr zutage. Die Ergründung des pro und contra kann allenfalls zusammengefasst, nicht mehr angereichert werden. Argumentativ spricht die vorliegende Arbeit für sich. Auch ohne Diskursanalyse hat der Autor die Erforschung der „pfälzischen Revolution“ erheblich angereichert!

Willibald Klappstuhl, Rez. von Markus Meyer, Die Revolution von 1848/49 in der Pfalz. Kampf um Grundrechte und Reichsverfassung (Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung Reihe B: Abhandlungen zur Geschichte der Pfalz Bd. 21), Neustadt an der Weinstraße 2020, URL: https://www.hist-verein-pfalz.de/de/rezensionen/7/wid,782/rezensionen.html.
Zuerst erschienen in: Pfälzer Heimat 73,1 (2022).

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