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Johann Georg August Wirth. Ein politisches Leben zwischen Restauration und Revolution




Erscheinungsjahr: 2022

HERRMANN, Axel, Johann Georg August Wirth. Ein politisches Leben zwischen Restauration und Revolution, Regensburg 2022.

Der 1798 in Hof geborene und am 26. Juli 1848 in Frankfurt am Main gestorbene JOHANN GEORG AUGUST WIRTH stammte nicht aus der Pfalz und lebte hier auch nur wenige Jahre. Dennoch war er als Publizist, Mitinitiator des Preß- und Vaterlandsvereins und Redner des Hambacher Festes von großer Bedeutung für die politischen Entwicklungen im rechtsrheinischen Teil des Königreiches Bayern und galt wegen der Verfolgungen durch bayerische Behörden und Gerichte in weiten Teilen Deutschlands als Märtyrer der Freiheit. Die Stadt Homburg setzte ihm und seinen Mitstreitern mit dem 1992 errichteten Freiheitsbrunnen ein Denkmal, das kürzlich in die Liste der Orte deutscher Demokratiegeschichte aufgenommen worden ist. Zu Leben und Wirken von Wirth liegen bereits zahlreiche Veröffentlichungen vor. Hier ist vor allem auf die 600 Seiten umfassende Biographie von Elisabeth HÜLS zu verweisen, die 2004 unter dem Titel „Johann Georg August Wirth 1798 - 1848. Ein politisches Leben im Vormärz“ in einer renommierten Reihe der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien erschien. Die jetzt von Axel HERMANN vorgelegte Biographie fällt deutlich kürzer aus, dennoch ist sie vor allem aus zwei Gründen sehr zu begrüßen. Zum einen will sie einem breiteren, geschichtlich interessierten Publikum das Leben und politische Wirken WIRTHS in knapper Form auf möglichst anschauliche und zugleich anspruchsvolle Weise präsentieren. Zum anderen will sie aber auch die Debatten über die Bedeutung WIRTHS für eine demokratische Erinnerungskultur anstoßen, denn einerseits wurde und wird dieser vormärzliche Publizist und Politiker als Freiheitsheld gefeiert. Andererseits aber wird sein Vorbildcharakter unter Hinweis auf die in Reden und Schriften zu findenden chauvinistischen und volkstümelnden Töne auch vehement bestritten. Auch Axel HERRMANN bleibt in seinem gut geschriebenen und sehr kenntnisreichen biographischen Abriß weit davon entfernt, WIRTH unkritisch als Freiheitshelden auf einen Sockel zu heben. Er ist sich bewußt, daß WIRTH als Politiker und Publizist des Vormärz eher in der zweiten oder dritten Reihe stand. Er warnt aber auch davor, WIRTHS Bedeutung für die deutsche Demokratiegeschichte wegen einiger aus heutiger Sicht fragwürdiger Aussagen zu negieren und damit seine politische Breitenwirkung in den beiden Jahrzehnten vor der Revolution von 1848 zu unterschätzen.
Ausgehend von einer anschaulichen Darstellung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen seiner Heimatstadt Hof schildert der Verfasser zunächst die familiären Verhältnisse, die sich durch den frühen Tod des Vaters und die begrenzten finanziellen Spielräume für den jungen WIRTH als sehr schwierig erwiesen. Da WIRTH nach seinem Jurastudium in Erlangen weder im bayerischen Staatsdienst Fuß fassen noch seine wissenschaftlichen Ambitionen verwirklichen konnte, trat er als Gehilfe in eine Bayreuther Anwaltskanzlei ein, um sich und die 1821 gegründete Familie ernähren zu können. Neben der Arbeit in der Kanzlei widmete sich WIRTH juristischen, ökonomischen und historischen Studien, die ihn – etwa bei der Frage der Gleichheit - noch keineswegs als entschiedenen Liberalen erkennen lassen. Wie HERRMANN gut herausarbeitet, bildeten dann die französische Julirevolution und die mit ihr verbundenen neuen Entwicklungen in Deutschland den entscheidenden Einschnitt im politischen Leben WIRTHS. HERRMANN schildert, wie sich WIRTH, der nun als Journalist für die Cottasche Verlagsbuchhandlung tätig wurde, angesichts der repressiven Politik des bayerischen Königs LUDWIG I., immer mehr vom gemäßigten Liberalen zu einem entschiedenen Demokraten und Republikaner entwickelte und wie WIRTH mit der neu gegründeten „Deutschen Tribüne“ seinen politischen Zielen eines geeinten und freien Deutschlands Resonanz zu verschaffen versuchte. Die daraus resultierenden pressepolitischen Auseinandersetzungen, WIRTHS Übersiedlung in die Rheinpfalz, seine politische Freundschaft mit PHILIPP JAKOB SIEBENPFEIFFER, die Gründung des Preß- und Vaterlandsvereins und schließlich das von WIRTH maßgeblich geprägte Hambacher Fest vom Mai 1832, all das wird sehr anschaulich beschrieben und zugleich stets überzeugend in die größeren Rahmendingungen der deutschen und europäischen Politik eingeordnet. Ausführlich widmet sich HERRMANN dann den gerichtlichen Verfolgungen, WIRTHS mehrjähriger Haftzeit in der Pfalz und den folgenden Jahren des Exils in Frankreich und der Schweiz. Wichtig in diesem Zusammenhang sind vor allem die Analysen von WIRTHS Rede auf dem Hambacher Fest und seine viel beachtete Verteidigungsrede, die er im August 1833 vor dem Landauer Assisengericht hielt. Deutlich werden dabei die sich verschärfende Kritik an der Politik der deutschen Monarchen und den von ihnen veranlaßten Repressionsmaßnahmen des Deutschen Bundes, denen WIRTH die unveräußerlichen Freiheitsrechte der Bürger, die Notwendigkeit einer die Freiheit garantierenden gesamtdeutschen Verfassung, die Forderung nach einer neuen staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie das Streben nach einem „conföderierten republikanischen Europa“ entgegensetzt. HERRMANN verweist in diesem Zusammenhang aber auch auf Widersprüche in den politischen Konzepten WIRTHS und seinen recht unausgegorenen kulturgeschichtlichen Auffassungen hin und geht mehrfach auch auf die Frage ein, wie WIRTHS Aussagen über die kulturelle Überlegenheit der germanischen Völker, der daraus abgeleitete Führungsanspruch der Deutschen und die schon in Hambach und besonders nach der Rheinkrise von 1840 hervortretenden antifranzösischen Tendenzen zu bewerten sind. Im Gegensatz zu manchen aus heutiger Sicht vorgenommenen vorschnellen Einordnungen, zeichnen sich HERRMANNS Ausführungen durch ein differenziertes Urteil aus, indem er etwa WIRTHS Frankreichkritik auf dessen Erfahrungen mit der napoleonischen Politik und den in der Rheinkrise ja durchaus realen Bedrohungen deutscher Grenzen zurückführt. Daß WIRTHS innen- und außenpolitische Positionen seit 1830 keineswegs starr festgelegt waren, zeigen auch HERRMANNS Ausführungen zur Rolle WIRTHS in der Revolution von 1848, von der er zunächst überrascht worden war und in deren Anfangsphase er eher zu Mäßigung riet. Eine neue einflußreiche politische Rolle war WIRTH, der als Nachrücker im Wahlkreis Reuß jüngerer Linie in die deutsche Nationalversammlung gewählt wurde, nicht mehr vergönnt, denn er starb nur wenige Wochen nach seinem Eintritt in das Parlament. Hier wurde sein politisches Wirken für Einheit und Freiheit sowohl von Liberalen wie HEINRICH VON GAGERN als auch vom Demokraten ROBERT BLUM gewürdigt. Wie die Nachwelt mit zum Teil erheblich abweichenden Einordnungen und tagespolitischen Ansichten mit JOHANN GEORG AUGUST WIRTH umging, erläutert HERRMANN in seinem Schlußabschnitt, in dem er überzeugend begründet, warum die Stadt Hof diesem durchaus nicht unumstrittenen Vormärzpolitiker zum 200. Geburtstag und 150. Todestag 1998 ein Denkmal setzte, das ihn nicht auf einem Sockel zeigt, sondern ihn durch eine aufgeschlagene, stilisierte Seite der mit der Geschichte der Rheinpfalz so eng verbundenen „Deutschen Tribüne“ würdigt. Interessierten Lesern, die sich einen schnellen, anschaulichen und abgewogenen Einblick in Leben und Wirken WIRTHS verschaffen wollen, ist dieses Buch sehr zu empfehlen.
Hans-Werner Hahn

Hans-Werner Hahn, Rez. v. Axel Herrmann, Johann Georg August Wirth. Ein politisches Leben zwischen Restauration und Revolution, Regensburg 2022. URL: https://www.hist-verein-pfalz.de/de/rezensionen/7/wid,1186/rezensionen.html

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