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Für Freiheit und Einheit

Die deutsche Revolution von 1848/49


Rezensent(in): Ziegler Hannes

Erscheinungsjahr: 2023
Autor(en): Ruppert Karsten
Erscheinungsort: Stuttgart

Heuer jährt sich der Ausbruch der deutschen Revolution von 1848/49 zum 175. Male. Zu diesem Anlass hat Karsten Ruppert, emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, ein Buch vorgelegt, das seine Studien zu diesem Thema und zur Epoche des Vormärz zusammenfasst.
Rupperts Arbeit ist in zehn Kapitel gegliedert. In einem knappen Vorwort erläutert der Autor Ausgangspunkte und Zielrichtung seiner Arbeit: Ursachen, Verlauf und Folgen der deutschen Revolution von 1848/49 sollen einem interessierten Publikum verständlich gemacht werden. Mit ihrer Einbettung in den europäischen Gesamtzusammenhang will der Autor zudem deutlich machen, „dass Verlauf und Scheitern der Revolution in Deutschland kein ‚Sonderweg‘, sondern der Normalfall waren“ (S. 9).
 
Im ersten Kapitel geht Ruppert auf die europäischen Voraussetzungen zur Revolution ein, die er als „den meist gewaltsamen Griff einer Gruppe innerhalb eines politischen Systems nach der Macht“ definiert, „um die bestehende Ordnung zu verändern oder zu beseitigen“ (S. 14). Der Autor zeigt ihre historischen Triebkräfte nach 1789 auf, verweist auf die Erschütterungen der Nachkriegsordnung des Wiener Kongresses in Europa, den Einfluss des Philhellenismus und der Polenbegeisterung. Die Revolutionen und Aufstände zwischen 1815 und 1848 charakterisiert Ruppert als Umbrüche mit überwiegend bürgerlichem und urbanem Charakter, zielten sie doch allesamt ab auf eine größere Machtbeteiligung des liberalen Bürgertums zulasten der monarchischen und restaurativen Kräften. Eine Umgestaltung der sozialen Verhältnisse lag freilich weder im Interesse des oppositionellen Bürgertums noch im Interesse der Herrschenden.
Im nächsten Kapitel werden die konstitutionellen Verfassungen des Vormärz, die Formierung des Liberalismus und die politische Entwicklung nach 1830 geschildert. Ein besonderes Augenmerk richtet der Autor auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse vor der Revolution. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Krise, welche die deutsche Volkswirtschaft 1848 erfasste, nicht als Ursache, vielmehr als verstärkendes Moment der politischen Krisen vor 1848 zu verstehen ist. Denn nicht nur im Deutschen Bund, auch in der Schweiz und den italienischen Staaten schwärten seit Mitte der 1840er Jahre vielfältige Konflikte, die durch die revolutionären Ereignisse in Paris Ende Februar 1848 eine explosive Dynamik erfuhren. Mit der Revolution von 1848/49 öffneten sich endlich die Chancen für eine Machtbeteiligung des liberalen Bürgertums.
Auf die revolutionären Umbrüche vom März 1848 konzentriert sich Ruppert in seinem dritten Kapitel. Die Märzrevolution hatte in Deutschland einen überwiegend urbanen Charakter. In den Städten gewann sie ihre Anhänger, die jetzt überraschend schnell ein dichtes Vereinsnetz strickten: Die Volks- und Märzvereine, die demokratischen Vereine und Arbeitervereine sorgten wie das Petitionswesen überall für eine enorme Politisierung. Doch auch die Konservativen und Königstreuen nutzten jetzt die Möglichkeiten der neuen Freiräume: In Preußen formte sich ein Zentralverein für „König und Vaterland“, der die liberalen Ziele ablehnte. Auch im Königreich Bayern wussten die „Konstitutionellen Vereine“ (in der Pfalz waren es ab Oktober 1848 die stärker nach Mainz ausgerichteten Piusvereine) mit Unterstützung der katholischen Kirche ihre Interessen wirksam vorzubringen.  
Auf dem Land registriert Ruppert dagegen eine folgenreiche „Sonderentwicklung“: Zwar sorgten die Bauern mit ihren Forderungen für die durchschlagenden Anfangserfolge der Revolution, doch als im Sommer 1848 die noch bestehenden Feudallasten abgeschafft und Rentenbanken eingerichtet worden waren, die mit langfristigen Krediten die Lage beruhigten, sah sich die bäuerliche Bevölkerung im Bund saturiert und fiel als revolutionärer Faktor weg. Abgesehen davon stand die wirtschaftliche und soziale Misere auf dem Land nicht gerade im Fokus der bürgerlichen Liberalen. Deren politische Forderungen, vorgetragen von ihren Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung und den einzelnen Landesparlamenten, dürften auch kaum das Interesse der Landbewohner gefunden haben, denen ganz andere Probleme unter den Nägeln brannten. Zwar haben später die Demokraten „den Schulterschluss mit den Landarmen und Landlosen versucht“ (S. 75), doch ohne größeren Erfolg. Im Gegenteil: Nicht selten solidarisierten sich Groß- und Mittelbauern mit den gegenrevolutionären Kräften. Ähnliches gilt für die Pfalz: Als sich dort Mitte Mai 1849 eine Provisorische Regierung etablierte und die Revolution wagte, formierte sich ausgerechnet im armen Westrich der größte Widerstand gegen die neuen Machthaber.
Der Interaktion zwischen Nationalversammlung und Volksbewegung, zwischen den Regierungen der Bundesstaaten und der provisorischen Zentralgewalt widmet Ruppert im vierten Kapitel sein besonderes Interesse. Präzise erhellt er das revolutionäre Machtgeflecht und seine immanenten Schwachpunkte: Die Errichtung und Bildung einer Reichsregierung (für ein Reich, das noch gar nicht bestand), die Einsetzung eines habsburgischen Erzherzogs als Reichsverweser waren wohl mutig, aber riskant – und verprellten Preußen, dessen Militärmacht man doch bald benötigte. Der Konflikt um Schleswig-Holstein führte dann mit dem Abkommen von Malmö (Ende August 1848) zu einem massiven Vertrauensverlust, ja zu einer Demütigung der provisorischen Reichsregierung und legte die wahren Machtverhältnisse offen. Anderes kam hinzu: Als Ordnungsmacht gegen linke Putsche (Baden, Sachsen-Altenburg) konnte sich die Reichsregierung zwar behaupten, doch diese Erfolge rissen einen tiefen Graben zwischen ihr und den linken Kräften, von denen Frankfurt jetzt als neues Repressionssystem wahrgenommen wurde.
In seinem fünften Kapitel setzt sich Ruppert kritisch mit der Reichsverfassung, dem „Werk der Nationalversammlung“, auseinander. Ausführlich geht er auf die Grundrechte, den Staatsaufbau, das Verhältnis zwischen Reich und Bundesstaaten sowie die Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im künftigen Reich ein. Bezüglich der Problematik, die sich bei der Staatsorganisation ergab, richtet Ruppert den Fokus weniger auf das Spannungsverhältnis zwischen föderalem und zentralistischem Denken als vielmehr auf einen bisher weniger beachteten Antagonismus, den er folgendermaßen zusammenfasst: „Staatenbund souveräner Fürsten gegen parlamentarisch-demokratischen Nationalstaat des Bürgertums!“ (S. 303). Tatsächlich hätte die Umformung des alten Staatenbundes in einen parlamentarisch-demokratischen Nationalstaat eine Entmachtung („Mediatisierung“) der deutschen Fürsten zur Folge gehabt, wären ihre staatlichen Kompetenzen doch erheblich reduziert worden – in außenpolitischer, fiskalischer, in wirtschaftlicher und in militärischer Hinsicht.     
Die Reichsverfassung bedeutete schließlich einen Kompromiss zwischen Volkssouveränität und monarchischem Prinzip und provozierte Kritik und Unzufriedenheit. Natürlich fällt es dem heutigen Betrachter leicht, in diesem Kompromiss strukturelle Fehler und Fehlentscheidungen zu finden, doch für die Zeitgenossen, so gibt Ruppert zu bedenken, „wäre ihre Umsetzung ein tiefer und nachhaltiger Umbruch gewesen“ (S. 172). Auch wenn sie niemals in Kraft trat: Die Reichsverfassung hinterließ uns ein kostbares Erbe und blieb ein „Vorbild, wann immer in Zukunft in Deutschland Freiheit, Gleichheit, Einheit und Recht in einem föderalen Nationalstaat verwirklicht werden sollte“ (S. 169).
Den Auswirkungen der Revolution in den deutschen Bundesstaaten geht Ruppert im sechsten Kapitel nach. Zwei Staaten stehen hierbei im Mittelpunkt: Preußen und Österreich. Preußen schien im März 1848 vor der Revolution kapituliert zu haben, tatsächlich griff König Friedrich Wilhelm IV. nur zu einer anderen Strategie, nämlich „die Revolution laufen zu lassen und zugleich Gegenmaßnahmen vorzubereiten“ (S. 191). Die Gegenmaßnahmen kamen: Der Verfassungsoktroy vom 5. Dezember 1848 war ein Staatsstreich. Preußen hatte sich gefestigt und empfahl sich als nationaler Neugestalter (freilich in ganz anderem Sinne als sich Frankfurt dies dachte) – und als Ordnungsmacht. Dass sich die Reichsregierung v. Gagern wider alle Signale ihren kleindeutschen Illusionen hingab, zeugte kaum von realpolitischem Gespür. Doch auch die Politik der Großdeutschen war von Wunschdenken geprägt. Ihre Pläne (in welcher Modifikation auch immer) hätten das Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates bedeutet, der ohnehin durch die Revolution in seiner Existenz gefährdet war. Spätestens seit der Regentschaft des selbstbewussten Fürsten zu Schwarzenberg – er stand dem Vielvölkerstaat ab November 1848 bis zu seinem frühen Tod als Ministerpräsident vor – war offensichtlich, dass auch dieser Weg verbaut war. Schlussendlich machte das Kaisertum Österreich mit seiner neuen Verfassung vom März 1849 ganz klar, dass es nur mit allen seinen Ländern (was illusorisch war) – oder eben gar nicht in den deutschen Staatsverband eintreten würde.
Die Diskussionen um die Grenzen des künftigen Nationalstaates fanden statt in einer Phase schwerer politischer Umbrüche: In Berlin, München und Wien hatten sich die alten Gewalten von dem Sturm der Märzrevolution erholt. Die Herbstkrise läutete einen reaktionären Umschwung ein, gegen den sich im Bund eine breite Volksbewegung stemmte, die im Zentralmärzverein Ende November 1848 ein organisatorisches Gerüst erhielt. Ihr Ziel war es, das Werk der Nationalversammlung, die vorab verkündeten Grundrechte (und dann natürlich die übrige Reichsverfassung) zu retten. Die Reichsverfassungskampagne war eine außerparlamentarische, vom Zentralmärzverein organisierte Bewegung, die sich in Eingaben und Adressen manifestierte, und den Kampf der Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung und den einzelnen Landesparlamenten unterstützte. Sie lief über Monate hinweg bis zum gewaltsamen Ende der deutschen Revolution, die im Mai 1849 in Sachsen, der Pfalz und Baden einen zusätzlichen Schub erhielt. Die Mairevolutionen von 1849 sollten von der Reichsverfassungskampagne klar getrennt werden. Während diese sich auf friedlichem Wege stark machte für das Werk der Nationalversammlung, suchten die Aktivisten von Dresden, Kaiserslautern und Karlsruhe einen anderen Weg hin zu einem anderen Ziel. Ruppert erläutert diesen Unterschied am Beispiel Badens. Dort hatte der Großherzog die Reichsverfassung ja anerkannt! Tatsächlich ging es in Baden um einen „Machtkampf zwischen der Staatsregierung und den konstitutionellen Liberalen auf der einen Seite sowie den […] Demokraten und Radikalen auf der anderen“ (S. 308). Ähnliches sollte auch für die Pfalz gelten. Zwar hatte der bayerische König Maximilian II. die Reichsverfassung Ende April 1849 abgelehnt, doch auch den Revolutionsaktivisten von Kaiserslautern ging es weniger um die Reichsverfassung. Sie träumten von der Schaffung einer regionalen revolutionären Keimzelle zur Fort- und Weiterführung der Revolution, jetzt freilich unter republikanischer Flagge. Die Provisorische Regierung in Kaiserslautern trennte sich vom Mutterland Bayern, sie stellte eine eigene Armee (Volkswehr) auf, rief Freischaren (meist Preußen und Polen) ins Land, zog Steuern ein und führte Gemeindeneuwahlen durch. Sie zwang die Pfälzer Beamten und das in der Pfalz stationierte Militär zum Eid auf die Reichsverfassung, verpflichtete sie zum Gehorsam und schmiedete Allianzen mit Baden und dem Elsaß. Doch für diese ambitionierte Politik einer diktatorischen Elite fanden sich zu keiner Zeit Mehrheiten, weder in der Pfalz, noch im übrigen Deutschland. Zudem hätte eine Republik im Herzen Europas in Paris, London und Petersburg nur Ängste und Gegenreaktionen provoziert. Letztlich schadeten die Revolutionäre den konstitutionellen Plänen der Liberalen, die unverdrossen ihrem parlamentarischen Weg folgten. Doch auch diese hatten sich in eine Sackgasse manövriert. Ende April 1849 lehnte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone ab. Damit war das liberale Projekt eines konstitutionellen Nationalstaates gescheitert.
Die tieferen Ursachen dieses Scheiterns und die Folgen, die sich daraus ergaben, werden von Ruppert in den letzten vier Kapiteln seines Buches ausführlich erläutert. Zupass kamen die Mairevolutionen in Sachsen, der Pfalz und in Baden allerdings Preußen, das sich jetzt „als alternative Ordnungsmacht zur Reichsgewalt“ profilierte (S. 308). So waren in der zweiten Maihälfte 1849 „die einst kooperierenden Gewalten, Reichsministerium und Nationalversammlung, ebenso schnell Kontrahenten geworden wie die Rivalen Preußen und Reichsgewalt Kooperierende“ (S. 260). Schließlich erstickten preußische und bundesstaatliche Truppen im Sommer 1849 die südwestdeutschen Revolutionsherde. Doch Sieger – so bilanziert Ruppert in seinem letzten Kapitel „Einsichten“ – stehen nicht immer auf der richtigen Seite: „Darin, dass das in der Revolution von 1848/49 Angestrebte nicht durchgesetzt werden konnte, liegt ihre Tragik; darin, dass es doch noch zum Durchbruch kam, ihr Triumph“ (S. 327).
Ruppert gelingt es, diese ambivalente Erkenntnis klar und überzeugend zu vermitteln. Dass der Leser nicht über Anmerkungen stolpern muss, ist hier nur von Vorteil, zumal ein kompaktes Quellen- und Literaturverzeichnis zur vertiefenden Lektüre einlädt.  

Hannes Ziegler, Rez. von Karsten Ruppert, Für Freiheit und Einheit. Die deutsche Revolution von 1848/49, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2023, URL: https://www.hist-verein-pfalz.de/de/rezensionen/7/wid,1075/rezensionen.html
Erschienen in: Pfälzer Heimat 75,2 (2024)

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